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Wochenbuch

“Die gute Mutter ist reine Fiktion, ein Ideal, das niemand erreichen kann” – der neue Roman von Lea Streisand: Hätt’ ich ein Kind #Rezension #Verlosung

Holt die gebastelten Pappblumensträuße raus, es ist Muttertag. Immer wieder schreibe ich seit vielen Jahren über das Phänonem “Muttertag” und das eigentlich jeden Tag “Muddatag” ist und warum man gleichzeitig Feministin sein und sich auch über kitschige GIFs freuen kann, dieses Jahr wollte ich was anderes.

Ich wollte euch das neue Buch von Lea Streisand: Hätt’ ich ein Kind ans Herz legen, der sich ganz wunderbar in die Neuerscheinungen von Mareice Kaiser und Susanne Mierau einreiht und bricht mit dem was die Vorstellungen der Ideale sind  von ihr  – von DER Mutter – sind. Wie wichtig und gut ist es, endlich Bücher zu lesen in denen nicht alles “glatt” und “großartig” läuft. Wie wichtig ist es für junge Menschen endlich auch mal lesen zu können, mit welchen Ängsten, Problemen und stetigen Benachteiligungen man als Mutter zu kämpfen hat.

Hätt ich ein Kind, Lea Streisand

Die Protagonistin Kathi ist soweit, sie will ein Kind und das sehr, sehr dringend. Mehr als zwei Jahre Warteprozess erleben wir mit ihrem Mann David und ihr, während die auf den Nachwuchs warten, per Adoption. Und da ist Kathis beste Freundin, die auch nicht gleich schwanger wird, aber immerhin, und deren Schwangerschaft auch ein bisschen das Abenteuer von Kathi ist und die beiden Freundinnen noch näher zusammenwachsen lässt.

Hätt ich ein Kind, Lea Streisand Eingerahmt ist die Geschichte in sehr viele Bezüge zu Märchen! Da erfahren wir, dass Rapunzel eigentlich ein Schwangerschaftsmärchen ist und Schneewittchen blond war. Da geht es darum, dass es eigentlich keine Stiefmütter waren, sondern wohl eher die sehr deutlichen Vorreiterinnen von Regretting Motherhood.

Hätt ich ein Kind, Lea Streisand

Und: Wir leiden. Also ich habe gelitten. Kein leichtes Buch, kein simples. Obwohl lustig und nahbar, so fühlte ich mich doch sehr emotional getroffen. Ich hatte das Gefühl, mich selbst in einigen Fragestellungen wiederzuerkennen und ich habe geweint. Vor Rührung. Vor Freude. Vor Betroffenheit. Ein starkes Buch.

Hätt ich ein Kind, Lea Streisand

Der Ullstein Buchverlag hat ein Interview mit Lea Streisand geführt, dass ich hier gleich mal mit einbinde.

Lea Streisand, Foto: Stephan Pramme

Lea Streisand, Foto: Stephan Pramme

Interview mit Lea Streisand zu ihrem Roman „Hätt‘ ich ein Kind“ (ET 10.03.2022)

Sind Sie eine gute Mutter?

LS: (lacht) Bin ich eine eierlegende Wollmilchsau? Natürlich nicht. Die gute Mutter ist reine Fiktion, ein Ideal, das niemand erreichen kann. 

Was macht eine gute Mutter aus? 

LS: Sie ist geduldig, gebend, aufmerksam, immer liebevoll, die Nährerin des Kindes durch ihre Milch und der Familie durch ihre Kochkünste. Sie geht in der Aufopferung für die Familie auf, empfindet dies aber nicht als Opfer. Sie ist keine Märtyrerin. Sie klagt nie. Sie hat keinerlei Bedürfnisse. 

Die gute Mutter spürt keinen Schmerz bei der Geburt, den atmet sie einfach weg, das Stillen ist ihr ein Genuss, sie betrachtet es als natürliche Bestimmung. Genauso wie ihr die Liebe zu ihrem Kind und das Wissen um seine Bedürfnisse von Gott oder der Natur mitgegeben wurden. 

Alles Blödsinn…!

Die Mutterliebe ist eine Erfindung des 18. Jahrhunderts. Genauso wie die Kindheit. Früher bekamen Frauen Kinder, mitunter sehr viele, und andere (meist Frauen, die als Ammen ihr Geld verdienten) haben sich dann um die Kinder gekümmert, mitunter weit weg vom Elternhaus. 

Die Verantwortung für das Neugeborene wurde also nicht wie heute allein der Person zugeschrieben, die es entbunden hat, obwohl dieses vielleicht ihr erstes Kind ist und sie gar nicht weiß, was sie damit machen soll. Geburtsvorbereitungskurse für Schwangere gibt es, aber die Säuglingspflege ergibt sich dann von allein? Äh… Nein! Das ist das Märchen von der Mutterliebe, wonach jede Frau mit dem Ausscheiden der Nachgeburt wie durch Zauberei instinktiv zu wissen hat, was zu tun sei und was das Kind braucht. 

Wir sollten uns immer vor Augen halten, dass solche Ansichten noch gar nicht sonderlich alt sind. Erst mit dem Aufstieg des Bürgertums wurde die Familie zur kleinsten Zelle der Gesellschaft, in deren Kern man eine Figur brauchte, auf die sich alles stützte, einen unsichtbaren Fixpunkt. Darauf basiert bis heute unsere Vorstellung der Mutter. 

Sie haben einen Sohn. Lieben Sie den nicht?

LS: Das ist eine sehr private Frage. 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen, die zu Müttern werden, ihren Anspruch auf Privatsphäre verlieren. Der Körper der Frau ist ja permanent gesellschaftlichen Zuschreibungen ausgesetzt und wenn es ums Kinderkriegen geht, erhöht sich dieser Druck noch mal immens.

Das beginnt mit Speisevorschriften während der Schwangerschaft und hört mit Erziehungstipps noch lange nicht auf.

Seit ich selbst vor mittlerweile vier Jahren Mutter wurde, fühlte ich mich schuldig. Ich hatte von Anfang an das Gefühl zu versagen. Nicht nur im Umgang mit dem Kind, in meinem gesamten Alltag. Ich arbeitete nicht mehr genug, ich spielte nicht genug mit meinem Kind, ich liebte es nicht genug, ich hatte nicht genug Sex mit meinem Mann, nicht genug Zeit für mich. Irgendwie war ich in allem zu wenig. 

Und dann unterhielt ich mich mit anderen Müttern und stellte fest, dass es denen ganz genauso geht. 

Die Schuld ist dem Muttersein offenbar eingeschrieben. Das hat mich neugierig gemacht. Und dann bin ich auf die Suche gegangen.

Die Ich-Erzählerin Kathi promoviert in Ihrem Buch zum Thema „Mutterschaft in den Märchen der Brüder Grimm“. Wie kamen Sie auf das Märchenthema?

LS: Ich habe mich schon in meinem Studium der Neueren deutschen Literatur an der Humboldt Universität Berlin zu Märchen geforscht. 

Wie Ihre Protagonistin…

LS: Die kleinen Formen interessieren mich. Das Konkrete. Zugespitzte. Die Märchen der Brüder Grimm sind wie Diamanten, an denen die beiden Germanisten fünfzig Jahre gefeilt haben, bis sie so perfekt waren, wie wir sie heute kennen. 

Aber sie transportieren ein toxisches Mutterbild.

LS: Ja und nein. Sehr viele Märchen (Schneewittchen, Rapunzel, Dornröschen…) beginnen mit einem unerfüllten Kinderwunsch, der schließlich doch erfüllt wird, den die Mutter dann aber mit dem Leben bezahlen muss. 

Was, wenn ich Ihnen nun sage, dass die Mütter gar nicht gestorben sind, sondern schlicht keinen Bock mehr auf die Kinder hatten, die sie sich anfangs so gewünscht hatten? Doch dann fügten die Brüder Grimm ab der zweiten Auflage ihrer Kinder und Hausmärchen zum Beispiel bei Schneewitchen zwei Sätze ein „Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. “, und zack,Auftritt der Stiefmutter, die das Kind schlecht behandelt, weil es nicht ihr eigenes ist. Aus dem Wunschkind ist plötzlich ein Bastard geworden. Das macht die schlechte Behandlung erträglicher. Das Ideal der Mutterrolle wurde damit nicht beschädigt. 

In Ihrem Roman geht es um Adoption…

LS: … und damit um die „böse“ Stiefmutter schlechthin, ja. Denn eine Mutter ist doch auch heute noch automatisch irgendwie böse, wenn sie nicht die Echte ist. Sie trägt zumindest einen Makel mit sich herum. Hat ihre Bestimmung nicht erfüllt. 

Die heutige Kulturindustrie ist geradezu übersättigt von bösen Adoptivkindern und schrecklichen Pflegemüttern. Wenn irgendein Psychothriller einen spannenden Twist braucht, kommt heraus, dass der Mörder als Kind adoptiert wurde/ bei Pflegeeltern aufwuchs, die nicht gut zu ihm waren. Ach so! Das Fremde ist das Böse. Welch ein narzisstisches Menschenbild dahinter steckt, oder? Mein Fleisch und Blut, meine Kontrolle, mein Abbild, meins, meins, meins.

Warum jetzt dieses Buch? Welche Aktualität hat es?

LS: Zwei Jahre Corona-Pandemie liegen hinter uns und keine Bevölkerungsgruppe wurde währenddessen so im Stich gelassen wie die Kinder. Als erste Maßnahme wurden im Frühjahr 2020 die Spielplätze geschlossen, dann Schulen und Kitas.

Die deutsche Bundesregierung vertraute auf die 200 Jahre alte Narration „Die Mutter ist das Beste für ihr Kind“. Dabei zeigt jede Polizeistatistik, dass gesellschaftlicher Druck oft in häusliche Gewalt umschlägt und häusliche Gewalt immer die Schwächsten trifft. Und das sind am Ende die Kinder.

Ich halte diesen bei uns praktizierten und selbstverständlichen Mütterkult für total übertrieben, denn die Mutter ist eben nicht immer das Beste für ihr Kind. Denn wie wir schon in Grimms Märchen sehen, schaffen es die Kinder auch dann, wenn sie von Müttern und Vätern verlassen werden, weil es immer auch andere Bezugspersonen gibt, die gut für sie sein können. Die Liebe bringt uns nicht immer nur weiter. Jede Mutter liebt ihr Kind. Weil sie es so gelernt hat. Auch die Junkiemutter, die auf der Straße lebt und anschaffen geht, wird vermutlich sagen, sie liebe ihr Kind. Aber deshalb würde ich trotzdem kein Kind in ihrer Obhut lassen. 

Kinder brauchen keine Übermütter, sondern Bezugspersonen, auf die sie sich verlassen können und die sich um sie kümmern, sie versorgen und auf sie achten. Mit Geduld, Verständnis und Zuneigung. 

Danke für das Interview an den Ullstein Verlag.

Die Gute Mutter - das neue Buch von Lea Streinsand

Gewinnt einmal den neuen Roman: Hätt’ ich ein Kind von Lea Streisand

Dieses Jahr zum Muttertag also mal was anderes, ihr könnt nämlich ein signiertes Exemplar vom neuen Buch von Lea Streisand gewinnen. Hinterlasst dafür einen Kommentar unter diesem Artikel. Wir losen am 14.05.22 ab 20 Uhr aus. Viel Erfolg, nach dem Lesen werdet ihr dann allerdings Märchen nie wieder lesen können, wie vorher!

Eure Alu

Hufeland, Ecke Bötzow – Ein Roman (ab 12J.) über Kindsein in der Wendezeit #30JahreDeutscheEinheit #Verlosung

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20 Comments

  • Katha
    8. Mai 2022 at 21:14

    Danke für’s Vorstellen! Vielleicht komme ich (seit der Mutterschaft) ja endlich mal wieder dazu ein ganzes Buch zu lesen ; )

  • Maike
    8. Mai 2022 at 21:52

    Ein wenig mulmig ist es mir bei dem Gedanken das Buch zu lesen, andererseits bin ich auch neugierig 😉

  • Lilu
    8. Mai 2022 at 22:05

    Hi zusammen 🙂, hab richtig Lust bekommen das Buch zu lesen. Wenn ich es nicht gewinne, kaufe ich es mir 👍. Danke für das tolle Interview!

  • Kerstin E.
    8. Mai 2022 at 22:54

    Klingt sehr spannend und macht mich neugierig. Das Buch möchte ich gern lesen.

  • Almut
    9. Mai 2022 at 00:34

    Danke für die Vorstellung des Buches. Nachdem so schön geteasered wurde, würde ich mich jetzt freuen das ganze Buch zu lesen.

  • Karin
    9. Mai 2022 at 07:51

    Wow, was für ein Buch! Und die Rolle der Mutterschaft. Ich würde es gerne lesen. Vielen Dank für deine Vorstellung. Hätte es sonst nicht entdeckt. Lg

  • Nadine
    9. Mai 2022 at 10:28

    Das klingt spannend, kommt gleich mal auf die To-read-Liste und hier hüpfe ich gern in den Lostopf :o)

  • Marina
    9. Mai 2022 at 10:49

    Cool! Hört sich wirklich sehr interessant an 😉

  • Betty Magel
    9. Mai 2022 at 11:18

    Hallo, vielen Dank für diese “Offenbarung”. Hatte ich nicht auf dem Schirm. Das Thema stereotype Darstellung von Geschlechtern in Märchen beschäftigt uns auch gerade sehr, da die Vierjährige voll in der Phase ist und wir viel darüber sprechen, welchen Selbstwert die Prinzessinnen haben. Hier eine kurze Rückempfehlung: Fairytales retold “Schneewittchen”, falls ihr das noch nicht kennt. Ich würde mich sehr freuen, dank euch, auch nochmal den Selbstwert der erwachsenen Frauenfiguren zu hinterfragen.

  • Lars
    9. Mai 2022 at 12:34

    vielenn Dank für das tolle Interview.
    Wir würden uns sehr über das Buch freuen.

    LG

  • Helke
    9. Mai 2022 at 17:39

    Das liest sich wirklich interessant, da versuche ich gerne mein Glück. Gute Bücher sind hier immer willkommen.

  • Iris
    9. Mai 2022 at 21:46

    Das klingt nach einem tollen Buch und ich möchte unbedingt mit in den Lostopf springen! 🙂

  • Bine
    9. Mai 2022 at 21:49

    Oh ja das will ich unbedingt lesen und hüpf gerne in den Lostopf rein.
    Lg,Bine

  • Nadine
    10. Mai 2022 at 07:28

    Puh, das hört sich an, als ob ich bei diesem Buch öfter mal durchatmen müsste. Ich möchte es trotzdem / deswegen? sehr gerne gewinnen.
    Herzliche Grüße
    Nadine

  • Anke
    10. Mai 2022 at 15:59

    Danke für die Vorstellung. Ich mochte ihre anderen Bücher sehr gern. Bin gespannt, ob dieses so ganz anders ist.
    LG Anke

  • Sarah M
    10. Mai 2022 at 22:48

    Das klingt sehr spannend. Eine vielversprechende Lektüre für den Sommerurlaub!

  • Kerstin E.
    11. Mai 2022 at 05:29

    Danke für das spannende Interview. Von dem Buch hatte ich vorher noch nichts gehört, klingt toll. Das möchte ich gern lesen. LG Kerstin

  • Anne
    11. Mai 2022 at 06:29

    Klingt spannend!

  • Berta
    13. Mai 2022 at 06:42

    Ich möchte auch in den Lostopf bitte!

  • Suomitany
    14. Mai 2023 at 15:45

    ich würde auch gerne in den Lostopf springen. liebe Grüße, Tanja

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