Grossekoepfe.de | Ein Elternblog mit Ihrer und Seiner Sicht aus Berlin!
Elternleben Kindergartenkind

Spürst du die Liebe?

„Spürst du die Liebe?“, fragt der Mann den Sohn als wir ihn zwischen uns an den Händen halten. „Ja“, sagt der Sohn und dann driftet er wieder weg und erzählt von Superhelden, Schurken und sehr vielen anderen Dingen eines Universums das mir oftmals verschlossen bleibt. Reden, das kann das Kind gut. Konnte es schon immer. Reden! Reden! Reden! Nur mit Mühe kann man sich einen Platz ergattern in einem Gespräch das oftmals wohl eher ihm selbst gilt, als seinem Gegenüber. „Sein Sozialverhalten ist schlecht“, wurde uns gesagt „Er hat zu viel Chaos im Kopf“ hat man uns geschrieben. Vielleicht müsse man das eben doch alles untersuchen lassen und da sitzen wir nun seit Januar und lassen uns diagnostizieren.

Fühlen sie sich deswegen angespannt?

fragt mich der Psychiater bei einem Diagnose Elterngespräch und als ich „Nein“ sage, kreuze ich die Finger unter dem Tisch und weine erst später als mich eine Freundin fragt wie es denn mit der ganzen Nummer läuft.

Spuerst du die Liebe_Eine Welt voller Diagnosen

„Natürlich spannt mich die ganze Scheiße mega an“, möchte ich eigentlich schreien wenn mich jemand fragt, aber stattdessen weine ich einfach leise in mein Kissen oder selten am Telefon.  Sechs Monate lang gehen wir nun zu Terminen an denen das Kind „vortanzen“ muss. *Schaut er in die Augen?* *Kann er lesen?* *Wie fragt er Fragen, immer mit einem Hintergedanken?* *Ist er hyperaktiv?* *Kann er schnell laufen ohne zu humpeln?*

Viele tausend Fragebögen und Tests sind das und auch immer wieder Gespräche für den Mann und mich. Insgesamt fünf verschiedene Stellen sprechen mit uns, wollen helfen und exkludieren so ein Kind immer  noch mehr, bevor es doch eigentlich inkludiert werden soll.

Wir gehen brav zu all diesen Terminen, hören zu, beantworten Fragen und sprechen. Der Schule müssen wir erklären, den Großeltern berichten und dem Kinderarzt erläutern. Ich bin müde und meine Augen sind trocken vom Salz das sie abgeben. Ich fühle mich leer und gleichzeitig voll von all diesen Worten und Momenten in denen ich selbst das Kind nicht kennen kann und mich immer wieder frage

„Bin ich schuld? Habe ich etwas dazu beigetragen? Hab ich etwas falsch gemacht?”

Ich will doch eigentlich nur ein glückliches, ein frohes Kind haben, wieso ist das so?

Ich teste es manche Diagnosen auszusprechen und erschrecke mich selbst manchmal vor dem Klang dieser Worte die das Schöne, das Besondere unseres Kindes, so profan herunterbrechen wollen.

Spuerst du die Liebe_Eine Welt voller Diagnosen

Spürst du die Liebe?

„Spürst du die Liebe?“, fragt der Mann und „Ja“, ich spüre sie. Ich kann sie fast fließen sehen durch meine Adern. Kann sie wabbern sehen durch diesen Jungen der da in unserer Mitte läuft und den einige Arschlochkind nennen würden und der laut ist und so anstrengend. Ein Kind das so viel Wärme und Zeit braucht, das sich so oft verkriechen will und das sein Herz offen trägt, ganz offen für jedermann, und Platz hat darin, so viel Platz.

Vor dem Urlaub habe ich probiert tief ein- und auszuatmen. Ich habe versucht mir selbst zu erzählen, dass man nicht jeden Urlaub entspannt sein muss und das alles was gerade passiert einen tieferen Sinn hat.  All das hier, mein Schweigen zu diesem Thema, dieser Text jetzt mitten im Urlaub, diese vielen Termine und diese vielen Diagnosen. Sie haben nur ein großes Ziel, das weiß ich jetzt: Sie sollen unsere spürbare Liebe sichtbar werden lassen. Fangen wir an.

Alu

Warum habe ich diese Wundertüte geboren?

You Might Also Like...

8 Comments

  • Isa
    5. August 2018 at 13:35

    Soooooo viel Liebe. Ihr seid so eine fantastische Familie und ich bewundere euch sehr. Und diese Liebe wird ihn und euch tragen. Und vielleicht hilft euch irgendwann auch eine Diagnose. Alles Liebe

  • Janin
    5. August 2018 at 21:58

    Der Text ist ganz toll geschrieben. Und ich kann Dich sehr gut verstehen, denn wir sind in einer ähnlichen Situation.
    Haltet weiter durch. Wir tun es für unsere Kinder, um sie zu verstehen und ihnen nicht nur unsre Liebe sondern auch das Verständnis von anderen für sie und ihr Verhalten zu ermöglichen.

  • Mara Solanum
    5. August 2018 at 23:23

    Oh, ihr goldigen Eltern!!! Ich drücke euch allen ganz feste die Daumen! Ein wenig haben wir diese Sachen auch mitgemacht … Es ist immer wie ein Eindringen in unsere Familie gewesen … und es tat weh, wenn jemand seine Meinung über uns äußerte.

  • Corsa
    6. August 2018 at 08:22

    .

  • Die Freitagslieblinge am 10. August 2018 - MEERESRAUSCHEN
    10. August 2018 at 20:00

    […] Woche möchte ich einfach mal DANKE an Konsti sagen. Unsere Zeiten sind derzeit nicht einfach, aber dank LIEBE klappt das alles schon ganz gut. . Mehr gibt es bei […]

  • Anja
    13. August 2018 at 15:50

    Schön zu lesen, dass ihr zu eurem Sohn steht und ihn stärkt. Ich bin der Überzeugung, das ist das Wichtigste!

    “Mittlerweile erhielten 20 bis 25 Prozent aller Jungen bis zu ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal die Diagnose, an ADHS zu leiden, einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität.” schreibt die FAZ 2015. Bei einem Elternabend sagte eine Gesundheitsförderin der Klasse 2000, dass mittlerweile 1/3 der Grundschüler in Therapien sind.
    Für mich krankt das Schulsystem, nicht die Kinder!

  • Caro
    11. November 2018 at 21:04

    Mich bewegen Eure Posts zu diesem besonderen Kind. Auch nach Monaten des ersten Lesens noch. Mein großes Kind ist ganz anders, aber einiges ist auch ähnlich. Er ist in vielem eigen und schwierig. Er ist nicht beliebt bei anderen Kindern. Er ist so wunderbar, so kreativ, so voller Ideen, aber auch so stur, so voller (nicht immer friedlicher Flausen), er macht sich vieles schwerer als ea ist, weil für ihn alles oder nichts gilt.

    Egal, er soll hier gar nicht Thema sein (wir sind auch noch im Vorschulalter, wo “Fehlfunktionen” noch nicht so schlimm sind). Aber ich danke Euch für Eure Offenheit. Dafür, dass Ihr uns an Eurer Liebe und Eurer Zerrissenheit teilhaben lasst. Und an Eurer Furcht, dass nicht alles gut werden könnte und wie man die Sorgen ums Kind vom Kind möglichst feenhält. Dass wir ahnen dürfen, dass es auch andere gibt, die vieles (gefühlt mehr als genug) richtig machen und bei denen trotzdem nicht alles Bullerbü ist.

    Ich wünsche Euch, dass sich Lösungen finden, die Euch alle glücklich machen. Und ich kann nur sagen: ich spüre in Euren Texten die Liebe.

  • Rike
    13. Dezember 2021 at 20:51

    Liebe Familie,
    ich weine vor Rührung und kann kaum verstehen, warum der letzte Post in 2018 passiet ist…
    Aber vielleciht bin ich auch nicht “up to date”
    Wir sind selbst gerade auf dem Weg einer Odyssee.
    De Große war “gesellschftskonform”. Zog sich zurück – ist bis heute eher defensiv.
    Der Kleine, dessen Weg wir gerade vor uns haben, ist “oppositionell”. Wehrt sich. Ist aggressiv. Im KiGa hat ihn ein Kind geärgert und er hat eine Grenze überschritten – hat das andere Kind in den Schwitzkasten genommen und nicht losgelassen – nach 3 Monaten und viel übler Nachrede der Eltern des anderen Kindes möchten die Eltern des anderen Kindes eine “Aussprache”. sie habe unser Kind im (DORF) als Monster dargestellt. Haben gesagt, man soll sein Kind nicht mehr mit ihm spielen lassen. Das tut so weh. Er ist kein Monster.
    Er hat eine Grenze überschritten. Ja – aber warum?
    Hat der andere Junge ihn so gereizt, daß er sich nicht mehr zu helfen wußte? Der Umstand, daß keiner der Erzieher dabei war, macht es für uns alle nicht einfacher.

Leave a Reply