Als ich das kleine Kind aus dem Hof der Kita abhole, da läuft sie mir aufgeregt entgegen. „Mama, ich habe heute was ganz Tolles im Sand gefunden.“ Auf dem Weg zum Auto angelt sie ihre kleine Schätze aus dem Rucksack. Eine Scherbe, ein roter Knopf und ein kleiner Ring, silbern glänzend. Gemeinsam schauen wir uns die Kleinigkeiten an und bringen sie nach Hause. Daheim werden alle drei Schätze gewaschen und begutachtet. Wie kommen Scherbe, Knopf und Ring wohl in diesen Sandkasten und wieso wurden sie heute gefunden?
Wir halten die Scherbe in das Licht und schauen, ob sie noch etwas Helligkeit brechen kann, aber sie ist bereits zu abgeschliffen. Als wir den Ring aufprobieren ist schnell klar: Dies ist kein Kinderring. Der Jüngsten rutscht er stetig vom Finger. „Ich glaube der Ring gehört einer der Erzieherinnen“, sage ich dem Kind aber sie verneint. „Nein, nein – das ist meiner“, wiederholt sie und immer wieder schauen wir uns wie groß der Ring ist und sie dreht ihn zwischen ihren Fingern.
Sie schickt Videos an ihre Cousine, ihren Papa und Oma und Opa, erzählt ihnen in dem Video von dem mystischen Ring und erwähnt nur ganz kurz mal, dass es vielleicht nicht ihr Ring ist.
Später am Abend gehe ich nochmal zu ihr, ich biete ihr einen Tauschhandel an. Sie könne sich einen meiner Ringe aussuchen, wenn sie diesen Ring im Büro der Kita abgeben würde, wahrscheinlich würde er schon schmerzlich vermisst von einer Erzieherin. Sie wehrt ab, kommt aber später nochmal vorbei, um mir zu erzählen, dass sie vielleicht sogar weiß welcher Erzieherin der Ring gehören könnte.
Am nächsten Morgen spreche ich das Thema nicht mehr an, wir frühstücken unser Müsli. Sie packt den mystischen Ring in den Rucksack und als wir an der Kita klingeln, da biegt sie wie von selbst zum Büro der Kita ab. Sehr leise erzählt sie dort von ihrem Fund und dem mystischen Ring. Die Kitaleiterin strahlt die Tochter an „Wie großartig von dir, dass du so ehrlich bist und den mystischen Ring zu mir bringst. Ich rede mit allen Erzieherinnen darüber und wenn sich niemand meldet, dann gehört der Ring dir, in Ordnung?“
Als das Kind und ich das nächste Mal allein sind, sage ich ihr nochmal, wie stolz ich auf ihre Ehrlichkeit bin. Ich bin mir ziemlich, dass das Kind in diesen Momenten ein ziemliches Stück gewachsen ist. Auf die Auflösung welcher Person der schöne Ring gehört, warten wir noch.
Alu
5 Comments
Flo
27. Januar 2022 at 12:16War es denn ein wertvoller Ring? Wenn ja, bestünde auch ein Anspruch auf Finderlohn, auf den ich auch bestehen würde, wenn ich (bzw. das Kind) schon so ehrlich war, den Ring abzugeben.
Bei einem Ehering im Wert von 1.000,- EUR läge dieser bei immerhin 40,- EUR. Die Berechnung ergibt sich aus § 971 BGB.
Für das Kind wären 40,- EUR ja schon ein kleines Vermögen. Dass Ihr Euer Kind zu Ehrlichkeit angehalten habt, finde ich gut, allerdings sollte das Kind dann auch nicht mit einem netten “Dankeschön” abgespeist werden.
Ob der Ring wertvoll ist, kann man meist daran erkennen, dass auf der Innenseite eine Gravur ist auf der Material und Karatzahl angegeben sind.
Lotti
27. Januar 2022 at 12:40@ Flo: ehrlich? Im Kindergarten?
Was erweckt das denn für eine Anspruchshaltung in den Kindern? Und wenn sie beim nächsten Mal einen Schatz finden, der einem anderen Kind gehört? Soll das Kind dann auch was zahlen?
Im öffentlichen Raum ist es was anderes, wenn man eine Geldbörse findet und sie zum Fundbüro bringt, was ja mit Umwegen und Zeitaufwand ist, habe ich mich auch schon über einen Finderlohn gefreut.
@ Alu: ein schönes Beispiel, dass es oftmals gar keinen Druck braucht, die Kinder zu einer richtigen Entscheidung zu drängen. Sie brauchen nach der Gedankenaanregung oft nur Zeit. Schöne Erinnerung für mich, mich öfter in Geduld zu üben.
Flo
27. Januar 2022 at 12:55@ Lotti:
Es handelte sich hier laut Text eben nicht um einen Kinderring, sondern um einen Erwachsenenring.
Auf Finderlohn hat man ein gesetzlich verbrieftes Recht. Einem Kind beizubringen, dass es nicht nur Pflichten (hier; Abgabe des Ringes), sondern auch Rechte (hier: Finderlohn) hat, ist eine wichtige Botschaft und kein “Anspruchsdenken”.
RM
28. Januar 2022 at 08:54@Flo Doch das ist Anspruchsdenken! Und es suggeriert, dass ethisch korrektes Verhalten erkauft werden muss, wenn es unbequem ist. Weder Belohnung noch Bestrafung ist die angemessene Reaktion, wenn ein Kind sich von sich aus für sozial erwünschten Verhalten entscheidet. Sanktionen zerstören die intrinsische Motivation. Also wenn es um ethische Prinzipien geht, könnte man überspitzt sagen: mit so einer Handlungsweise demontiert Du den inneren moralischen Kompass eines Kindes. Ich gehe natürlich vielleicht vorschnell davon aus, dass Du da dieselben Werte hast, wie die Autorin. Allgemein ausgedrückt könnte man auch sagen, soziale Verstärkung, hier der Stolz der Kindergartenleitung über die Entscheidung des Mädchens, hat nachhaltigeren Einfluss, als materielle Verstärkung. Diesen Effekt zerstört Du, wenn Du vorlebst, dass man da die Hand aufhalten kann. Meine Vermutung wäre, dass bei einem Ring die wenigsten das als angemessen empfinden würden. Und entsprechend irritiert und nicht erfreut reagieren. Rechte einzufordern bedeutet nicht zwangsläufig immer, das Angemessene zu tun. Wenn Du meiner Argumentstion folgst, dann kann man sehen, dass das Leben komplex ist. Einer meiner Werte ist, meinem Kind vorzuleben, dass der einfache Weg nicht immer der beste ist. Das fördert Achtsamkeit und Durchhaltevermögen.
Gruß RM
Alu und Konsti
29. Januar 2022 at 21:00Es war ein ganz einfacher Silberring. Sonst hätten wir ihn auch zur Polizei gebracht.