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Elternleben

Es wird niemals einfacher, sondern immer nur anders #Inklusion

Immer wenn ich kurz mal Luft hole und denke “Ach schau an, das wird ja doch alles irgendwie einfacher mit dem Kind”, dann passiert irgendwas Unvorhergesehenes und die Luft wird wieder dünner zum Atmen.  Wirklich immer!

Die Wahrheit über das Leben mit einem schwerbehinderten Kind

Die Wahrheit ist: Als pflegendes Elternteil eines schwerbehinderten Kindes wird es niemals wirklich einfacher oder tiefenentspannter. Es wird einfach nur anders. Seit 2018 tragen wir den Sohn und seine Diagnosen, Medikamente, Schulwechsel und Veränderungen mit uns herum.  Wir trainieren unsere Schultern, ziehen uns gepanzerte Elternanzüge an und stürzen uns immer wieder neu hinein, in das Abenteuer: Inklusionsdschungel.

Wir sehen ihn wachsen, in letzten sechs Monaten sogar um glatte 8 cm und 6 Kilogramm. “Ein erster pubertärer Wachstumsschub”, sagt die Ärztin. “Ein Desaster”, sage ich.  Neben all den schulischen, persönlichen, zwischenmenschlichen und medizinischen Sorgen fühle ich mich noch nicht bereit für diese, sehr plötzlich eintretende, Veränderung.

Der Sohn nimmt es scheinbar locker. Wieder regt sich keine Gesichtsmimik, als wir mit ihm darüber sprechen. Obwohl wir uns vorher gut überlegt haben wie wir bestimmte Themen ansprechen, so fällt es mir trotzdem schwer über Körperhygiene, Veränderungen und mehr Selbstverantwortung mit diesem Kind zu sprechen. Reden mit einem Kind über Deobenutzung, dass nicht mal selbst Schnürsenkel binden kann.

Da sitzen wir wieder, mit einem Kind, dass innerlich noch klein und unbedarft ist und von außen schon so wirkt, als würde es gleich den Basketballkorb erreichen können.

Wir sitzen in der Schule, denn da gibt es natürlich wieder mal Sorgen und Fragen, die wir beantworten müssen. Nicht schreiben können hemmt den Kopf, die eigenen Hände als tägliche Herausforderung.

Wir sitzen bei den Therapeutinnen und Therapeuten, die wir ins Boot holen und die auch nur murmeln “Da ist ja schon Bartflaum” und der Sohn träumt sich ins Irgendwo.

Wir sitzen bei den Eltern der Freunden und sprechen darüber, dass der Sohn zwar aussieht wie ein Riese, aber immer noch keine Knöpfe zumachen kann und auch weiterhin eher in der Ecke sitzt als in einer Gruppe von Menschen.

Wir sitzen wieder an den Telefonen, machen neue Termine mit Fachärzten und suchen schon mal eine Brille beim Optiker aus.

Wir sitzen im Garten und hören ein tiefes und ein hohes Lachen aus einer Kehle und den Ruf nach mehr Toastbrot mit Schokocreme.

Wir sitzen in unserer Küche und messen die Größen der neuen Tabletten aus und stellen diese zusammen, denn Wachstum bedeutet auch dahingehend: Alles neu, alles anders und hoffentlich nichts anders in Größe und Form, sonst wird der tägliche Diskussionspunkt noch größer.

Wir sitzen im Auto und der Sohn braucht plötzlich keine Schale mehr (anscheinend schon länger) und stößt fast mit dem Kopf ans Autodach.

Wir sitzen wieder im SPZ und der Sohn fragt, ob er wohl einen Intelligenztest machen könnte? “Einiges ist so schwer”, sagt er.

Ich höre meinem kleinen Riesen zu und bin mir in diesen Momenten nicht sicher, was genau denn da schwer für ihn gerade ist. Es ist doch so viel auf einmal. Für mich wird mit dem Kind wohl auch nichts einfacher, sondern einfach nur anders und ich nicke dem Sohn zu, ganz sanft und voller Zuneigung.

Die Wahrheit über das Leben mit einem schwerbehinderten Kind

Alu

Arschlochkind reloaded #Inklusion

Die Wahrheit über das Leben mit einem schwerbehinderten Kind

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4 Comments

  • Martina von Jolinas Welt
    31. März 2022 at 08:44

    Ja, ich sitze hier und nicke.
    Ich kenne das, nur in der weiblichen Form, auch nicht besser.
    Sie spielt mit Puppen und Kuscheltieren, sie ist klein und zart und doch, sie ist 13, sie pubertiert, rebelliert und hat Brüste.
    Meine Angst ist, wie wird das, wenn jeden Monat…? Oh Gott, es soll bitte noch dauern.
    Sie kann auch keine Knöpfe zumachen und trägt Jeggings, Schuhe binden? Es gibt ja Klettverschlüsse, doch Binden, kann sie das? Hier liegen schon unterschiedliche Höschen für sowas, es wird eben…anders.

  • Alu und Konsti
    2. April 2022 at 10:24

    <3

  • Claudia
    29. April 2022 at 15:56

    Hallo,
    also etwas ist mir doch unverständlich: wie kann man als liebende, intelligente, reflektierte Mutter sein schwerbehindertes Kind, das sich mit dem Schreiben so schwer tut bei Twitter der Volksbelustigung ausliefern (made my day , minutenlang gelacht )? Ich finde das keineswegs lustig und ich denke, dass die meisten Leser, beim Wissen um ein behindertes Kind, das auch nicht besonders lustig finden. Nur so als Denkanstoß. Aber vlt hab ich auch alles nicht oder falsch verstanden!
    Mit freundlichem Gruß und den besten Wünschen
    Claudia

  • Alu und Konsti
    30. April 2022 at 21:34

    Danke Claudia. Das Kind und wir konnten gemeinsam darüber lachen, das ist etwas wunderbares. Nur weil unser Kind behindert ist, ist es nicht stetig zu bedauern. Humor löst sehr viel. Alles Liebe.

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