Hätte ich vor einem Jahr, zu meinem 40. Geburtstag, gewusst was das neue Lebensjahr mit sich bringt, so hätte ich wohl versucht zu fliehen. Ich hätte versucht mich im Dunkeln zu verstecken und unsichtbar zu machen, vor all der Angst, den Schmerzen, dem Trauma und all dem was die Diagnose Krebs mit sich bringt.
Heute ist nämlich nicht nur mein Geburtstag, sondern auch meine letzte Chemotherapie liegt genau drei Monate zurück. Vor drei Monaten schleppte ich mich zu einem Termin von dem jeder weiß, dass es einem das Leben retten kann und der gleichzeitig solche Schmerzen mit sich bringt, dass sich jede Faser des Körpers ekelt.
Ich denke, dass ich heute zu meinem 41. Geburtstag sagen kann, dass ich das mit der Flucht im letzten Jahr vielleicht sogar ein bisschen versucht habe. Im März letzten Jahres habe ich was unter der Dusche gespürt, erst im Mai war ich dann beim Frauenarzt. Immer wieder war mir etwas dazwischengekommen, ich hatte MICH nicht auf die Prioritätenliste gesetzt.
Das letzte Jahr hat mir etwas ganz Neues geschenkt, nämlich Angst. Ich bin nie ein ängstlicher Typ gewesen, habe immer alles auf mich zukommen lassen und denke von jeher sehr lösungsorientiert. Seit Juni jedoch spürte ich sie, Angst! Ich konnte am Anfang teilweise nicht atmen, lag auch noch unter der Chemotherapie viele Nächte wach und zermürbte mir mein kleines Hirn über all das worüber man nie nachdenken will. Am Anfang konnte ich dieses Gefühl noch gar nicht greifen “Angst um mich selbst”. Erst nach und nach begann ich zu erkennen, dass dies wohl dieses Endlichkeitsgefühl ist, von dem ich schon gehört hatte, aber das bis dato nie bei mir vorbeigeschaut hat.
Nach der Chemotherapie wurde es besser. Meine Augenbrauen kehrten zurück und ich konnte im Krankenhaus Witze darüber machen, dass ich nun die Brüste einer Zwanzigjährigen am Körper einer Vierzigjährigen zur Schau tragen darf. Ich begann wieder zu lachen, auch über mich selbst.
Aber Humor rettet einen leider nicht immer wenn man Krebs hat. An einigen Tagen da rettet mich nur frische Luft und Zuversicht und das Wissen darum, dass ich der Medizin und mir selbst vertraue! Meine Kleider aus den Jahren davor habe ich größtenteils inzwischen verkauft. Einen Ausschnitt wie früher, den gibt es nun nicht mehr. Ich muss mich erst noch an diesen neuen Körper gewöhnen. Die Kinder mit ihren Forderungen und ihrer Zuneigung tragen mich durch die Tage, wenn alles so weh tut, dass man nur noch schlafen will.
Aus dem Spiegel schaut mich in diesem Jahr eine Frau an, der heute morgen schon Tränen über die Wangen liefen.
Sie liefen, weil der Krebs mich verändert hat. Sie liefen, weil ich soviel Schmerz fühlen kann. Sie liefen, weil ich trotzdem noch lächeln darf. Sie liefen, weil meine Kinder diese besondere Zeit so toll meistern.
Sie liefen, weil ich mich geliebt fühlen darf.
Sie liefen, weil ich noch da bin.
Hätte ich vor einem Jahr gewusst was wird, so hätte ich kurz versucht zu fliehen. Ich wäre ein Stück in die Schatten rückwärts gegangen und hätte dann Anlauf genommen. Ich hätte meine Beine durchgestreckt, meinen Kopf gehoben und wäre mit voller Kraft in dieses Jahr hineingelaufen. Ich hätte die Angst mit voller Wucht getroffen, bevor sie mich im Juni aus der Bahn geschubst hat. Ich hätte dem Krebs schon viel früher gezeigt, dass er sich die falsche Person ausgesucht hat.
So aber beginne ich nun das neue Jahr mit genau diesem Rückenwind. Ich gehe mit Anlauf in die letzten Bestrahlungen, weitere Tabletten und Operationen. Denn, ich bin noch da! Mit kurzen Haaren, einem Lächeln auf den Lippen, jeder Menge Mut und dem Wissen: Alles ändert sich, ständig!
Eure Alu
Ich möchte an dieser Stelle für Eure Spenden zu meinem Geburtstag an PinkRibbon Deutschland bedanken. Danke!
3 Comments
Mein Körper und ich...eine Momentaufnahme #Brustkrebs
9. Februar 2023 at 13:09[…] und ziehe meine Schlupflider nach oben. Vielleicht steckt doch noch eine Lorelai Gilmore in mir? Seit meiner Erkrankung lerne ich viel dazu. Haarverlust, Wassereinlagerungen, ein Gesicht wie eine Figur aus der […]
Eva
12. Februar 2023 at 14:30Alles Gute, Alu! Von ganzem Herzen alles Gute für dich und deine Familie. Auf viele, viele Jahre mit weniger Angst und Stress.
Alu und Konsti
12. Februar 2023 at 20:50danke schön.