Grossekoepfe.de | Ein Elternblog mit Ihrer und Seiner Sicht aus Berlin!
Baby Bilderfrauen Ihre Sicht Schwangerschaft

Rosa – Hellblau – ohne Falle ein #Gastpost von “Nieselpriem”

Rosa-Hellblau- ohne Falle

Ich war als Kind in Wolle gehüllt. Wollene Hosen, wollene Pullover, Strickjacken und Mützen. Alles liebevoll mit den Händen meiner beiden Großmütter fabriziert.

Für K3 gestrickt von Nieselpriem
Während Charlotte mir steife -immer ein wenig zu fest gestrickte- Pullis in kräftigen Farbenangedeihen ließ, die sie im Nachgang oft auch noch aufwendig bestickte mit Apfelbäumen,Kindermotiven und so weiter, war Else durch aufwendige Lektüre der DDR-Modehefte immer auf dem neuesten Stand der Strickmode und so bekam ich von ihr, je nachdem, was die Mode vorgab, Pullunder mit Kochlöffeln gestrickt oder Pullis, in die Lederbänder eingewebt waren.

Charlotte blieb nicht lange bei mir, sie starb an meinem achtzehnten Geburtstag. An gebrochenem Herzen, wie ich vermute. Sie ist kaum ein Jahr nach dessen Tod ihrem Herbert gefolgt. Ich sehe ihre kleinen, feinen Hände noch immer vor mir, die stets eine Handarbeit auf dem Schoß hatten. Sie umhäkelte meine Puppenstubenpüppchen kunstvoll mit Overalls, Kleidern und Mützchen, bestickte riesige Gobelins und strickte ihre Enkel ein.

Else blieb länger bei uns. Sie war vierfache Mutter, zwölffache Großmutter und neunfacheUrgroßmutter und ich glaube, jeder ihrer Anverwandten hat im Laufe der Jahre irgendwas aus der gleichen Wolle getragen.

Denn Else war eine Bewahrerein! 

So gern sie strickte, so sehr liebte sie auch das Ausgangsmaterial.Wolle war etwas Kostbares in ihren Augen. Die harten, entbehrungsreichen Jahre hat sie nie verwunden und auch die Mangeljahre in der DDR-Wirtschaft haben sie geprägt. Sie arbeitete in einem Spielzeuggeschäft und so kam es, dass sie stets etwas tauschen konnte unter der Ladentafel.

Kamen Holzspielzeugsachen oder Puppenstubenmöbel ins Geschäft rein, konnte sie das dem Handarbeitsgeschäft nebenan anbieten, um an acht Knäul Mohairwolle zu gelangen.

Passten die Stricksachen nicht mehr, dann musste das zu Else zurück. Sie drießelte die Stücke auf, hob jedes noch so kurze Fitzelchen Wolle auf und verwahrte diese nach Farbe in Beuteln, Kopfkissenbezügen und dergleichen mehr. Dazwischen legte sie stets getrocknete Apfelsinenschalen. Gegen die Motten.

Und was einmal die Strickjacke vom Opa war, wurde dann eben ein Winterpullover für Cousine Eveline und drei Jahre später vielleicht ein Teil eines Kleides für meine Schwester. Und wieder Jahre später ein Topflappen.

Wolle war ihr kostbar. Wenn ich noch ein paar Jahre vor ihrem Tod fragte: „Omi, kann ich ein bisschen Wolle haben?“, dann bekam sie Magenschmerzen, ihr Gesicht verzog sich. Sie trennte sich so ungern…

Und bekam ich dann ein paar Socken von ihr, nach reiflicher Überlegung, dann bekam ich stets einen Vortrag zur Pflege obendrauf: Nicht in die Waschmaschine! Else misstraute diesen Geräten bis zum Schluss. Nein, eine Schüssel mit handwarmem Wasser aufsetzen und ein bisschen FEWA rein. Und dann das Wollstück einlegen. Und bloß nicht rubbeln! Nein, nur sanft drücken und stauchen! 
Und oft spülen. Immer in der Schüssel. Und nicht wringen! Und danach um Gottes Willen nicht schleudern!Das Wollstück musste auf ein Badetuch gelegt werden und vorsichtig in diesem eingewickelt und sacht, immer nur ein bisschen, drücken, bis das Wasser aus dem Kleidungsstück heraus war. Und dann liegend trocknen auf einem anderen Badetuch. So macht man das! So machte sie das Zeit ihres Lebens. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie lange sie an einem Wollwaschtag in der Waschküche stand..

Else starb im Januar zweitausendzwölf, unser Kleinchen kündigte sich im Winter desselben Jahres an, sie hat das leider nicht mehr erlebt. Der Kleinste wurde als erstes von Elses Nachkommen nicht mehr von ihr eingestrickt.

Als meine Schwester und ich ihre Wohnung beräumten, standen wir auch irgendwann in dem Raum, der mal das Kinderzimmer meiner Tante Gina war und nun ein Hort ihrer Schätze. Wolle über Wolle, sorgfältig nach Farbe sortiert und für kommende Projekte aufgehoben.
Mich rührte dieses Bild sehr.

Ich nahm mir – nicht ahnend, dass ich das demnächst würde brauchen können und bald voller Vorfreude Kindersöckchen stricke– einen großen Beutel rosa und lila Wolle und einen Beutel blaue Wolle mit. Erst viel später las ich dann, dass rosa/ hellblau ein politisches Thema ist und Kinder wohl heute am besten grün und orange tragen. 
Mir ist das noch heute vollkommen wurscht!Alt, verfilzt, an manchen Stellen dünn, da wo vielleicht irgendwann man ein Ellenbogen die Wolle strapaziert hatte. Gekringelt. 
Die Drießelwolle meiner Oma ist nicht schön, aber voller Geschichten und liebevoller Erinnerungen.

Und so sitze ich nun manchmal, wenn sich ein Kind ankündigt in meinem Freundeskreis, mit Elses Schätzen auf meinem Schoß und stricke aus der erinnerungsträchtigen Wolle meiner Oma Söckchen für ein neues Kind. Stricke ebenso wie früher meine Omas Liebe und gute Wünsche mit ein und schenke damit etwas, das wohl kaum einen materiellen Wert besitzt, aber für mich wie nichts anderes zeigt, dass ich mich mit den Eltern freue und dafür etwas hergebe, das mir sehr viel bedeutet.

Ich wünsche Dir ein wundervolles Leben, du neues kleines großes Wunder! Ein Leben voller Überraschungen und Liebe und Freunden und dass dir stets bewusst ist, wie sehr du gewollt und willkommen bist!
Liebe Rike: gestern kam Dein Paket an mit den Söckchen und der wunderbaren Decke für K3. Es ist so wundervoll ein so liebevolles Einzelstück mit Geschichte geschenkt zu bekommen, DANKE dafür von Konsti und mir!



You Might Also Like...

3 Comments

  • AH 1904
    6. September 2016 at 11:13

    Oh was für eine wunderbare Geschichte über Wolle mit Geschichte. Meine Oma war Schneiderin und so gibt es in unserer Familie eine ganz ähnliche Geschichte mit Stoffen. Jedes Fitzelchen wurde aufbewahrt und wenn daraus nur Innenfutter, eine gequiltete Applikation oder der gute alte Putzfetzen (liebe Grüße aus Österreich) mit Initialen der Verwenderin wurde. Wie schön, dass Rike die Wolle ihrer Oma weiterleben lässt. Lg, Angelika P.S.: beim Bilduntertiel "Für K3 von nieselpriem" dachte ich schon, dass sich im Hause nieselpriem Nachwuchs angekündigt hat :-D. Dabei ist es ja als "Von nieselpriem für K3 zu lesen"

  • Birthe Schwegmann
    6. September 2016 at 19:10

    Hach <3 Habe ich sehr gerne gelesen!

  • Meine #Freitags5 #Freitagslieblinge - fünf Bilder für fünf Tage - Hallo September - grossekoepfe
    21. Juli 2017 at 00:09

    […] tolle BloggerInnen haben uns zur Geburt Texte geschenkt. Hier findet ihr den von Nieselpriem und von Sandkuchen-Geschichten von dieser […]

Leave a Reply