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Kartoffeln, es sollte jeden Tag Kartoffeln geben #Brustkrebs #Rehatagebuch

Kartoffeln, ich soll mehr Kartoffeln essen. Petra schiebt mir ihre drei Kartoffeln, mit der Gabel, auf meinen Teller. Ich sage nichts und nicke. Ja, ich soll Kartoffeln essen. Die guten Kohlenhydrate. Dazu am besten jeden Tag ein Ei und Harzer Käse, so lautet die Empfehlung der Ernährungsberaterin.

Ich zerquetsche meine Erdäpfel. Neidisch schiele ich auf den Teller von Uschi. Sie hat Spätzle mit Sauce, die Glückliche. Aber Uschi hat eben keine Ödeme, hatte (zum Glück) keine Chemotherapie und nutzt die Reha eher im Rahmen ihres stressigen Rentnerdasein, zum Durchatmen. Nach dem Essen mache ich meine tägliche Mittagspause. Ich schleppe mich fast schon ins Bett.

Ich brauche diese, ohne würde ich weiterhin die Tage mit all dem Sport und den Gesprächen nicht schaffen. Die doofen Tabletten machen mich müde, da helfen auch keine Kartoffeln (oder Schokolade) mehr, da hilft nur noch eine Pause.

Der Wald hilft mir immer.

Der Wald hilft mir immer.

Ich sinke in einen traumlosen Schlaf, bis der Wecker klingelt und meine nächste Stunde Rehasport ruft.

Heute habe ich auf dem Nachmittagsprogramm Algenschlamm kneten. Durch die vielen Therapien, denen mein Körper seit Juli 2022 ausgesetzt ist, habe ich sehr oft steife Finger und Gelenke.

An manchen Tagen beginnt der Tag mit der typischen Handhaltung eines Tyrannosaurus Rex, erst nach und nach entfalten sich meine Finger.

Beim Schlamm kneten sollen die Gelenke gestärkt werden. Wiederholt sitze ich daher vor einem Beutel voller Dreck und stecke meine Arme tief hinein. Der Dreck ist kalt und ich habe 15 Minuten Zeit diesen hin und her zu kneten. Immer wieder habe ich in diesen Minuten meine Jüngste vor Augen, die begeistert von verschiedenen Glitzerschleimpackungen ist und daher immer neuen Schleim haben will. Genüsslich lässt sie den Schleim zwischen ihren Fingern hin und her fließen und gluckst dabei. Ich wünschte mir so sehr, dass dieser Beutel auch Glitzer im Dreck enthielte, oder wenigstens Murmeln, nach denen man fischen kann.

Aber nein, an einem „Katzentisch“ in der Physiotherapie sitzen zwei Frauen und kneten Schlamm. Ich bin begeistert und stöhne. Angeekelt verziehe ich ab und zu das Gesicht.  Was muss, das muss. Nach dem Dreck geht es weiter zur Aquagymnastik. Elegant bewegen wir uns durchs Wasser, zu lauter Musik. Meine Oberschenkel freuen sich über den Druck, mein Bauch schiebt sich durch die “Fluten”.  In jeder Stunde hoffe ich weiterhin auf einen schmaleren Po. Für irgendwas muss das doch gut sein, diese Anstrengung, aber all das wird mir wohl weiterhin verwehrt bleiben, vermute ich.

Das Meer zeigt sich von seiner schönsten Seite.

Das Meer zeigt sich von seiner schönsten Seite.

Zum Abschluss des Nachmittags steht dann die Klangmeditation auf dem Plan. Ich rolle eine Yoga-Matte aus und lege mich in Bereitschaft. Beim letzten Mal erfüllten die Klänge meine Kopfhaut und ich fühlte die Töne bis in meine brüchigen Haarspitzen. Leider wurde meine persönliche Entspannung jedoch von lauten Schnarch-Geräuschen anderer Entspannter durchbrochen.

Heute auf ein Neues. Ich lege mich in Position, extra mehr in eine ruhige Ecke. Als die Töne erklingen, bin ich ganz da. Ich fühle sie, kann loslassen, hier sein. Am Meer! Ich fühle mich fast, als würde ich loslassen. Bis plötzlich wieder im Raum geschnarcht wird. Verschiedene Personen ratzen sich so richtig schön weg und ich liege wach daneben. Ich denke, dass diese Menschen die Entspannung wohl vollends verstanden haben. Meine Augenlider zittern und ich versuche an “Nichts” zu denken. Ich denke an den Wald, an meine Kinder, an meine Freundinnen, an J, und am Schluss an den Podcast Babylon Berlin mit Volker Kutscher.

Ich habe es bis dato nicht geschafft alle neun Folgen des Podcasts auf dieser Reha zu hören, denn ich schlafe jedes Mal genüsslich ein, wenn der Podcast läuft. Ich stelle mir vor, dass es um den Zerfall Berlins und der Gesellschaft geht und Gereon Rath gerade mit dem Zeppelin in die USA fliegt…und dann: Ist die Stunde vorbei.

Ich rolle meine Matte ein, winke Birgit zu und gehe eine Runde spazieren.

Dieser tägliche Weg, das tägliche Atmen. Ich denke, das ist es wofür ich hier bin. Vielleicht braucht es viele Dinge gar nicht, vielleicht braucht es “einfach” nur das Meer.

Am Strand breite ich die Arme aus und spüre, dass das hier gerade der richtige Ort für mich ist. Ich komme zur Ruhe, trotz all dem was mich beschäftigt und meiner nächsten anstehenden Operation Mitte Dezember. Gleich geht es zum Abendessen, wo Uschi wahrscheinlich bereits Tee für mich hingestellt hat und Petra mir heimlich einen Harzer Käse auf den Teller rollt und mir alle von ihren Enkelkindern erzählen.

In Gedanken liege ich schon im Bett und lausche dem Podcast und denke:

Das ist mein Leben gerade.

Mein kleines Leben nach Krebs.

Alu

Kartoffel Gemüse Reha

 

Auftauchen #Rehatagebuch #Brustkrebs

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